- Regierungskriminalität
- Regierungskriminalität,Bezeichnung für die strafbaren Handlungen, die im Umfeld und unter Missbrauch ihrer politischen Macht durch die Machtinhaber begangen werden, auch als »Kriminalität der Mächtigen«, »politische Kriminalität«, »Makrokriminalität« bekannt. Dabei werden unter dem Begriff Regierungskriminalität ausschließlich Straftaten zusammengefasst, die von natürlichen Personen begangen werden. Deliktstypisch handelt es sich um Hoch- und Landesverrat, politischer Mord, Freiheitsberaubung, illegale Telefonüberwachung, Untreue und Bestechung. Das genaue Ausmaß der Regierungskriminalität ist unbekannt. Zu ihren Merkmalen gehören 1) eine Begehungsweise unter Ausnutzung bestehender sozialer, politischer und wirtschaftlicher Bindungen und Machtfunktionen, 2) eine relative Sanktionsimmunität durch komplexe Tatstrukturen, Verdeckungs- und Verdunkelungsmöglichkeiten, Beeinflussung der öffentlichen Meinung, guten Rechtsschutz und geringe Stigmatisierung sowie 3) ein extremer materieller oder immaterieller Schaden bei geringer Beunruhigung der Bevölkerung.Regierungskriminalität ist kein neuzeitliches Phänomen, sondern drückte sich bereits in der Vergangenheit in Form von Kolonial- und Kriegsverbrechen, Folter, Völkermord und anderen Verbrechen von Staatsführungen aus. Obwohl Fälle der Regierungskriminalität aus Staaten ganz verschiedener politischer Systeme bekannt geworden sind, haben derartige Erscheinungsformen in der ehemaligen DDR aktuelle Bedeutung gewonnen und dem Begriff eine für das vereinigte Deutschland eigene Prägung gegeben. Die gezielte Ausnutzung der hierarch. Machtstrukturen erfolgte nicht nur über die dort herrschende Partei und die ihr zugeordneten Organisationen, sondern auch durch Mitarbeiter und Informanten des Ministeriums für Staatssicherheit durch Aushorchung und Bespitzelung der Bürger. Charakteristische Delikte sind politische Erpressungen, Körperverletzungen durch Misshandlungen im Gefängnis oder in Polizeigewahrsam, Rechtsbeugung, Tötungsdelikte an der Grenze (durch so genannte Mauerschützen, innerdeutsche Grenze, Schießbefehl). Erhebliche Schwierigkeiten bestehen in der Entdeckung und Verfolgung der fraglichen Taten. Deshalb wurde zur Aufarbeitung der Regierungskriminalität in Berlin die Zentrale Ermittlungsstelle Regierungs- und Vereinigungskriminalität eingerichtet. Dennoch fällt die Abgrenzung einer zulässigen Partei- und Staatspolitik vom strafrechtlich relevanten Einsatz von Gewalt beziehungsweise Veruntreuung von Staats- und Parteivermögen noch immer schwer. Spezielle Tatbestände zur Erfassung der Regierungskriminalität bestehen nicht. Regierungskriminalität bildet gleichsam Rahmen und Ausgangspunkt für Machtmissbrauch und zahlreiche Amtsdelikte, aber auch für Verstöße gegen Normen des Wirtschafts- und Militärstrafrechts.Die Verfolgung strafbaren Unrechts büßt offenbar dann ihre Selbstverständlichkeit ein, wenn Unrecht von Funktionären eines totalen Herrschaftsapparats mit staatlichen Mitteln, getarnt mit dem Mantel der Legalität, begangen worden ist. Mit der Souveränitätstheorie, dem Verbot rückwirkender Gesetze und dem subjektiv-individuellen Herunterspielen der eigenen Täterverantwortlichkeit (»Rädchen-im-Getriebe-Argument«) wird die Strafbarkeit staatlichen Machtmissbrauchs stets in Zweifel gezogen. Während der Dauer des Rechtssystems können sich deren Machthaber und Funktionäre in der Regel vor Bestrafung sicher fühlen, erst mit dem Wechsel des politischen Systems endet die charakteristische Ohnmacht der Opfer und der Strafrechtspflege. Doch wird der nunmehr möglichen justiziellen Ahndung des Regime-Unrechts nicht selten mit dem Argument begegnet, dass ein souveräner Staat nicht über die Machthaber und Funktionäre eines anderen zu Gericht sitzen könne, solle es sich nicht um »Siegerjustiz« handeln. Aus der Sicht der Opfer und unter dem Blickwinkel elementarer Gerechtigkeitsvorstellungen erscheint diese Haltung unannehmbar. Die Bandbreite der Erscheinungsformen von Regierungskriminalität sowie die nur schwer zu durchdringenden Verflechtungen zeigen, dass das Strafrecht wenig geeignet ist, der Regierungskriminalität wirksam vorzubeugen. Geeigneter und aussichtsreicher erscheint vielmehr die Intensivierung innerstaatlicher parlamentarischer Beschränkungen und Kontrollen (einschließlich Verfassungsgerichtsbarkeit, Petitionsausschüsse und Ombudsmänner). Außerdem tragen überstaatliche Einrichtungen wie die UN-Menschenrechtskommission in Genf und die europäischen Organe zum Schutz der Menschenrechte zur Vorbeugung und Kontrolle bei.H.-H. Jescheck: Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht. Eine Studie zu den Nürnberger Prozessen (1952);Dt. Wiedervereinigung, Bd. 2: Die Verfolgung von R. der DDR nach der Wiedervereinigung, hg. v. E.-J. Lampe (1993);Kriminolog. Opferforschung. Neue Perspektiven u. Erkenntnisse, hg. v. G. Kaiser u. a., Bd. 1 (1994);C. Schaefgen: Vergangenheitsbewältigung durch die Justiz (1996).
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Re|gie|rungs|kri|mi|na|li|tät, die: Kriminalität im Bereich der ↑Regierung (2).
Universal-Lexikon. 2012.